Das Zürcher Modell sozialer Motivation (German)

Hinweis: Dieser Text ist ca. aus dem Jahr 2006 – heutzutage würde ich wohl einige Aspekte anders sehen und aufschreiben. Die Beschreibung des Zürcher Modells ist jedoch nach wie vor akkurat.

Theoretische Grundlage für den Motivfragebogen MPZM (Motivprofil nach dem Zürcher Modell) ist – wie der Name schon sagt – das Zürcher Modell sozialer Motivation.
Norbert Bischof hat mit diesem Modell eine formale Motivationstheorie entwickelt, welche er systemtheoretisch ausformuliert und modelliert hat. Die Theorie ist ausführlich in dem Buch “Das Rätsel Ödipus – Die biologischen Wurzeln des Urkonfliktes von Intimität und Autonomie” (hier kostenlos als PDF erhältlich) beschrieben. Die Darstellung hier kann nur als kurzer Überblick bzw. als Einführung verstanden werden.

Das Modell ist aus einer ethologischen und evolutionstheoretischen Perspektive entstanden und postuliert, dass sich in der Phylogenese des Menschen zentrale Motivationssysteme sowie Copingmechanismen entwickelt haben, die im Wesentlichen bei allen Säugetieren zu finden sind. Diese Systeme sind Adaptationen, welche einen konkreten Zweck erfüllen und somit einen ultimaten Nutzen haben. Auf Basis dieser „Grundausstattung“ der Motivation werden auch einige Besonderheiten des Menschen thematisiert.

Diese basalen Motivsysteme werden im Zürcher Modell als Regelkreise formuliert. Dabei liefert ein Detektor den Ist-Zustand, welcher mit einem Soll-Wert des entsprechenden Motivsystems verglichen wird. Besteht zwischen beiden eine Diskrepanz, so entsteht eine Aktivation. Diese Aktivation – in ethologischer Literatur wird sie üblicherweise „Trieb“ genannt – motiviert zu einem Verhalten, welches die Diskrepanz zwischen dem Soll- und dem Ist-Wert aufheben soll. Je größer die Abweichung ist, desto größer ist auch die Aktivation bzw. Motivation, den homöostatischen Zustand wiederherzustellen, in dem die Ist- den Soll-Werten entsprechen. Je nach dem, ob die Abweichung nach oben oder nach unten entsteht, stellt sich im Organismus ein motivationaler Zustand der Appetenz oder der Aversion ein. Beide Begriffe bezeichnen Handlungstendenzen, die sich in drei Punkten unterscheiden (Bischof, 2001, S. 173):
1. Richtung: Die Appetenz strebt eine spezifische Reizkonfiguration (z.B. die Mutter) an, die Aversion versucht einer solchen zu entkommen.
2. Verlaufsdynamik: Bei der Appetenz wächst die Spannung und die Bewegungsintensität mit der Annäherung an ein Ziel ständig an. Die Aversion hingegegen klingt mit zunehmender Entfernung aus.
3. Abschluss der Handlung: „Eine Aversion mündet [im Gegensatz zur Appetenz] nicht in ein orgasmisches Finale, sondern sie verliert sich undramatisch in einem reizfreien Ruhezustand“ (Bischof, 2001, S. 174).

Abbildung 1: Ein allgemeiner Regelkreis

In der Darstellung der Systemstruktur der Motivsysteme (siehe Abbildung 5, S. 25) hat das Modell einen allgemeinpsychologische Anspruch. Betrachtet man jedoch die individuelle Ausprägung der Sollwerte dieser Motivsysteme, ergibt sich durchaus auch eine differentialpsychologische Lesart des Modells.

Im Folgenden sollen die basalen Motivsysteme vorgestellt werden. In Klammern sind die Abkürzungen genannt, die sich in der graphischen Darstellung des Modells finden (siehe Abbildung 5, S. 25).

Das Sicherheitssystem

Das Sicherheitssystem reguliert die Nähe zu vertrauten, sicherheitsspendenden Objekten. Als Input für diesen Regelkreis dienen drei Detektoren:

  • ein Detektor für die Nähe zu Objekten (NÄHE).
  • ein Detektor für die Relevanz des Objekts (REL). So sind z.B. nur Artgenossen als soziale Objekte relevant.
  • ein Detektor für die Vertrautheit des Objekts (Familiarität, FAM).

Alle drei Detektoren wirken positiv auf die Größe Sicherheit (SICH). Das bedeutet, je näher, relevanter und vertrauter ein Objekt ist, desto mehr Sicherheit vermag es zu spenden. Ein typisches sicherheitsspendendes Objekt für ein Kind ist die Mutter: sie ist als erwachsene Artgenossin relevant und sie ist durch den ständigen Kontakt vertraut. Und echte Sicherheit vermag sie auch nur zu spenden, wenn sie auch (rein physisch) nah ist.
Der IST-Zustand SICH wird verglichen mit dem SOLL-Wert für das Sicherheitssystem. Er wird im Modell Abhängigkeit (ABH) genannt.
Gibt es eine positive Abweichung (also es ist weniger Sicherheit vorhanden, als der SOLL-Wert vorgibt), so bewirkt die entstehende Aktivation ein Bindungsverhalten. Damit bewirkt der Organismus eine Annäherung an ein sicherheitsspendendes Objekt, er hat also Appetenz nach Sicherheit.
Gibt es jedoch eine negative Abweichung (also es ist mehr Sicherheit vorhanden als der SOLL-Wert vorgibt), so wird der Organismus zu einem Überdruß- oder Meidungsverhalten aktiviert, das eine gewisse Distanz herstellen soll. Diese Art der Abweichung zeigt sich in einer Aversion gegen Sicherheit (bzw. genauer: gegen das sicherheitsspendende Objekt).

Abbildung 2: Der Sicherheitsregelkreis des Zürcher Modells

Der SOLL-Wert für das Sicherheitssystem (ABH) verändert sich mit der Ontogenese (vgl. S. 432-435). So ist er kurz nach der Geburt auf seinem Maximum und sinkt stetig ab, bis er bei der Pubertät sein Minimum erreicht. Nach der Pubertät steigt er wieder leicht an.

Im Vergleich zu anderen Motivkonzeptionen lässt sich das Sicherheitssystem bei Bischof am ehesten mit dem Intimitätsmotiv nach McAdams (1982) oder dem Sicherheitsbedürfnis nach Maslow (1954) vergleichen, da es beim Sicherheitssystem ganz klar um den Umgang mit (sehr) vertrauten Personen geht. Es geht weniger um Murrays (1938) „need for affiliation“, da hier ein eher anonymer sozialer Anschluss gemeint ist.
Entscheidend ist auch die konzeptuelle Trennung von Bindung (Sicherheitssystem) und Sexualität, welche dem Autonomiesystem zugeordnet ist (siehe unten). Beide Begriffe sollten nicht einem gemeinsamen Obergriff wie z.B. „Liebe“ oder „Eros“ untergeordnet werden (Bischof, 1993). Bischofs klare Trennung dieser beiden Konstrukte wird nun auch in neuerer Forschung wieder aufgegriffen. So beschreibt Diamond (2004), dass romantische Liebe und sexuelles Verlangen zwei funktional unterschiedliche Systeme sind, die auch durch unterschiedliche neurochemische Substrate vermittelt werden. Sexuelles Begehren wird durch gonadale Östrogene und Androgene vermittelt, während diese Hormone keine Auswirkung auf den Aufbau einer emotionalen Bindung haben. Diese wird dagegen stark beeinflusst durch die Neuropeptide Oxytocin und Vasopressin, welche unter anderem bei der Geburt und beim Stillen ausgeschüttet werden (primäre Bindung zwischen Mutter und Kind, vgl. Bischof 2001, S.440). In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass diese Neuropeptide die Bindung zwischen Mutter und Kind, aber auch das Ausbilden von sekundären Bindungen zwischen erwachsenen Partnern beeinflussen (Diamond, 2004; Wismer Fries, Ziegler, Kurian, Jacoris & Pollak, 2005; Bischof, 2001).

Das Erregungssystem

Das Erregungssystem reguliert das Verhalten bezüglich neuartiger Reize. Als 
Input dienen dieselben Detektoren wie beim Sicherheitssystem – nur dass der Detektor für Vertrautheit negativ verrechnet wird. Erregung (ERR) kann also ein Objekt spenden, das relevant und nah ist, mir aber nicht vertraut ist.
Der IST-Zustand ERR wird mit dem SOLL-Wert Unternehmungslust (UNT) verglichen.
Gibt es eine positive Abweichung (also es ist weniger Erregung vorhanden, als der SOLL-Wert vorgibt), so bewirkt die entstehende Aktivation ein Neugierverhalten oder auch Explorationsverhalten, also eine Appentenz für Erregung.
Gibt es eine negative Abweichung (also es ist mehr Erregung vorhanden als der SOLL-Wert vorgibt), so gibt es eine Bereitschaft für Furchtverhalten, also eine Aversion gegen Erregung.

Abbildung 3: Der Erregungsregelkreis des Zürcher Modells

Auch die Unternehmungslust ändert sich mit der Ontogenese: sie ist zu Beginn des Lebens auf einem sehr geringem Niveau, steigt aber bald an und führt zu erstem Explorationsverhalten. Ihr Maximum erreicht sie bei Pubertierenden, die ja gerade dafür bekannt sind, dass sie ständig Neues ausprobieren und den Nervenkitzel suchen (vgl. S. 434-435). Nach der Pubertät sinkt laut Bischof die Unternehmungslust wieder etwas ab.

Im Vergleich zu anderen Motivkonzeptionen lässt sich Bischofs Erregungssystem am ehesten bei der Konzeption des Explorationsverhaltens aus der Ethologie einordnen. Obwohl anerkannt wird, dass das „Explorationsstreben […] zur motivationalen Grundausstattung der Säuger [gehört]“ (Heckhausen, 2006, S.2), wird dieses Motiv in der Motivationspsychologie wenig diskutiert. Schneider und Schmalt (2000) führen dies darauf zurück, dass das Motivkonstrukt sowie das resultierende Verhalten multidimensional sind, die Explorationstendenzen stark vom interessierenden Objekt abhängig sind und der Entwicklungsstand des Individuums eine große Rolle spielt (ebd., S. 178f).
Annäherungen an das Konzept finden sich bei Murrays (1938) „need for play“ und „need for cognizance“ (Wissensdrang); am ehesten vergleichbar ist Zuckermans „Sensation Seeking Scale“ (Zuckerman, 1990).
Als biologische Grundlage des Erregungssystems kommen weniger Hormone (wie bei den anderen Motivsystemen), sondern eher Neurotransmitter in Frage. So konnten Stuettgen, Hennig & Reuter (2005) zeigen, dass die Novelty Seeking Scale (NS-Scale) aus dem Tridimensional Personality Questionnaire (TPQ; Cloninger et al., 1973), welche inhaltlich eng mit dem Erregungssystem nach Bischof verwandt ist, einen klaren Zusammenhang mit dopaminerger Aktivität hat. So hatten Personen mit einem hohen Novelty-Seeking-Wert eine signifikant höhere dopaminerge Aktivität als diejenigen mit niedriger Punktzahl. Interessanterweise zeigte das sehr „biologienahe“ behavior activation system (BAS) von Gray (1973), welches rein konzeptuell fast identisch mit der Novelty-Seeking-Scale ist, keinen Zusammenhang mit diesen neuroendokrinen Prozessen. Die Autoren schließen daraus, dass das BAS eine geringere „biologische Validität“ hat als die NS-Skala des TPQ.

Das Autonomiesystem

Das Autonomiesystem reguliert vor allem das soziale Geschehen in Bezug auf Rangordnung und Dominanz. Der Detektor für diesen Regelkreis reagiert auf Erfolg. Mit Erfolg ist hier ein “Sammelbegriff für alle Situationen, in denen man bekommt was man möchte [gemeint]. Je ranghöher einer ist, desto weniger Triebverzicht muß er leisten, desto häufiger erfährt er sich also auch als erfolgreich.” (S. 456).
Der resultierende „innere Widerschein“ des Erfolgs (ebd.) ist das Autonomiegefühl (AUT). Verglichen wird dieses mit dem SOLL-Wert Autonomieanspruch (AUTAN).
Eine positive Abweichung resultiert in assertivem Verhalten (z.B. Imponiergebärden, Drohen), also einer Autonomieappetenz. Liegt eine Motivationslage der Autonomieaversion vor, zeigt sich dies in submissivem Verhalten (Demutsgebärden).

Abbildung 4: Der Autonomieregelkreis des Zürcher Modells

Das hier postulierte Autonomiesystem ist eine Zusammenfassung mehrerer recht heterogener Konzepte. Bischof unterscheidet drei Hauptkomponenten (Bischof, 1993, S.15):

  • Macht/ Dominanz: Die oben genannten Erfolgserlebnisse beziehen sich hierbei vor allem auf die Erfahrung fremder Unterwürfigkeit.
  • Geltungsbedürfnis: Hier speisen sich die Erfolgserlebnisse aus dem Genuß von Geltung und Applaus.
  • Leistungsmotivation: Hier ergeben sich die Erfolgserlebnisse aus dem Bewußtsein eigener Kompetenz und Wertschöpfung.

Diese Komponenten sind laut Bischof persönlichkeitspsychologisch nur locker korreliert. Gemeinsam ist diesen Konzepten aber, dass alle mit einer Erhöhung der Selbstgewißheit einhergehen. Leider gibt Bischof keine genaue Definition des Begriffes „Selbstgewißheit“, er beschreibt es lediglich mit folgenden Stichworten: Macht, Stärke, Einfluss, Freiheit, Geltung, Kompetenz, Klasse, Vornehmlichkeit (vgl. ebd., S.14).
Die oben genannten Reaktionen – assertives und submissives Verhalten – sind v.a. auf den phylogenetisch ältesten Teil des Autonomiesystems, die Macht, bezogen. Somit sollte man diese Reaktionsweisen eher als prototypisch und nicht als erschöpfend betrachten.

Zur hormonellen Grundlage des Machtsystems gibt es eine ganze Reihe von Befunden (für einen guten Überblick siehe Schultheiss, Campbell & McClelland, 1999). So konnte mehrfach nachgewiesen werden, dass das Geschlechtshormon Testosteron in einer Beziehung zu dominantem Verhalten steht. So steigt der Testosteronspiegel, nachdem Männer in einem Tennismatch gewonnen haben und sinkt, wenn sie verloren haben (Booth, A., Shelley, G., Mazur, A., Tharp G. & Kittok, R., 1989). Schultheiss et al. (1999) haben einen interessanten moderierenden Zusammenhang mit dem impliziten Machtmotiv gefunden (vgl. auch Kapitel 2.2). So stieg sowohl nach einem vorgestellten als auch nach einem tatsächlichen Sieg in einem Wettkampf der Testosteronspiegel an – allerdings nur bei den Probanden, die ein implizites Machtmotiv hatten. Die Ausprägung des impliziten Machtmotivs korrelierte zu r=0,77 (p<0,01) mit dem Testosteron-Spiegel. 

Eng verknüpft mit dem Autonomiesystem ist das Sexualitätssystem. Dieses wird mit dem Begriff „Libido“ umschrieben und beschreibt eine „Motivationsgröße, die für die Auslösung sexueller Verhaltensprogramme zuständig sein sollte“ (S. 464). Die Libido speist sich aus einem exogenen Anreiz (EXO; sexuelle Schlüsselreize) und aus einem endogenen Trieb (ENDO). Die Libido steht aber auch in einer positiven Rückkoppelung mit dem Autonomieanspruch: je höher der Autonomieanspruch, desto höher die Libido und umgekehrt. Durch diese Verschaltung lassen sich verschiedene Phänomene erklären, wie z.B. die psychische Kastration, typisches Verhalten während der Pubertät oder das „Muttersöhnchen-Syndrom“ (vgl. S. 464-476). Dieser enge Zusammenhang mit der Sexualität wird später bei der Formulierung unserer Hypothesen von großer Bedeutung sein (siehe Kapitel 6.3).

Im folgenden sollen die drei Komponenten des Autonomiesystems gesondert betrachtet werden.

Das Machtmotiv

Das Machtmotiv ist der phylogenetisch älteste Teil des Autonomiesystems und ist wahrscheinlich bei allen in Gruppen lebenden Säugetieren vorhanden (Bischof, 2001). Es dient dazu, Hierarchien in Gruppen auszuhandeln, aber auch, sie zu stabilisieren, wenn sie einmal vorhanden sind. Die Machtmotivation generiert Dominanzhierarchien: einen hohen Rangplatz muss man sich erkämpfen; Imponieren und Einschüchtern sind die bevorzugten Strategien. Ein befriedigtes Machtgefühl äußert sich phänomenologisch im Gefühl des Triumphes. Diese Art der Hierarchie ist eine eher männliche Strategie und entspricht der Rang- oder Hackordnung bei anderen Tierarten (Bischof-Köhler, 2002, S. 318).
Auch wenn das Machtmotiv beim Zürcher Modell sehr basal (d.h. wenig kognitiv) ausgelegt ist, entspricht es im wesentlichen der Konzeption des Machtmotivs bei McClelland (1975). 

Das Geltungsmotiv

So wie das Machtmotiv zu einer Dominanzhierarchie führt, generiert das Geltungsmotiv eine Geltungshierarchie. Während die Dominanzhierarchie phylogenetisch sehr alt ist, findet man die Geltungshierarchie nach Bischof-Köhler (2002) erst bei den Menschen, da sie ein ausgebildetes Ichbewusstsein voraussetzt. Der Kern des Geltungsmotives ist der Wunsch, Ansehen und Anerkennung von (relevanten) Artgenossen zu erhalten, im Mittelpunkt zu stehen und sich so vor anderen Gruppenmitgliedern auszuzeichnen. Ein befriedigtes Geltungsmotiv zeigt sich im Gefühl des Stolzes. Besteht eine Geltungsaversion (d.h. man bekommt mehr Aufmerksamkeit, als einem aufgrund seines Geltungs-Sollwertes lieb ist), so zeigt sich das in der Emotion der Scham oder der Verlegenheit (Figner & Grasmück, 1999).
Während die Dominanzhierarchie eine männliche Form der Rangordnung ist, findet man in rein weiblichen Gruppen meist eine Geltungshierarchie. Trotz dieser empirisch legitimen Geschlechterzuteilung darf man aber nicht übersehen, dass beiden Geschlechtern prinzipiell beide Strategien zur Verfügung stehen (Bischof-Köhler, 2002, S. 319).

In der vorherrschenden Motivationspsychologie wird das Geltungsmotiv kaum diskutiert. Einen Anklang gibt es allenfalls bei Murray (1938), der in seinem Katalog psychogener Bedürfnisse den Geltungsdrang („need for recognition“) postuliert hat, ihn aber nie systematisch untersucht hat (Heckhausen, 2006).

Das Leistungsmotiv

Das Leistungsmotiv ist wie das Geltungsmotiv erst auf der Entwicklungsstufe der Menschen zu finden. Kern des Leistungsmotivs ist das Anstreben von Erfolgserlebnissen, die im Erleben eigener Kompetenz und Wertschöpfung bestehen. Dabei geht es weniger um die Anerkennung einer Leistung von Dritten, sondern darum, sich selbst diese Anerkennung zu geben (quasi vor einem internalisierten Publikum, vgl. Figner & Grasmück, 1999). Es geht also um die Selbstbewertung vor einem inneren Gütemaßstab. Das mit einem erfüllten Leistungsmotiv assoziierte Gefühl ist wie beim Geltungsmotiv der Stolz.
In der allgemeinen Motivationspsychologie ist das Leistungsmotiv das bis heute am meisten untersuchte Motiv (Heckhausen, 2006). Im Wesentlichen kann jedoch das Leistungsmotiv in der Konzeption des Zürcher Modells mit der allgemeinen Konzeption dieses Motivs gleichgesetzt werden, weshalb hier nur auf die diesbezügliche Literatur verwiesen werden soll (Heckhausen, 2006; Schneider & Schmalt, 2000).

Das Copingsystem

Tritt in einem dieser drei Motivsysteme (Sicherheitssystem, Erregungssystem, Autonomiesystem) eine länger anhaltende Diskrepanz zwischen dem Ist- und dem Sollwert auf, weil die spezifische triebreduzierende Handlung, die dem Motivsystem zugeordnet ist, nicht ausgeführt werden kann, so staut sich die entstehende Aktivation auf. Bischof beschreibt die Situation mit dem Bild einer Barriere, die der spezifischen Reaktion im Weg steht. Der dadurch entstehende Aktivationsüberschuss greift nun auf das Copingsystem über, welches fünf unspezifische Verhaltensprogramme bereithält, die diese Aktivation auf indirektem Weg abbauen können (vgl. Bischof, 1993, S. 16).
Drei dieser Copingstrategien (Aggression, Supplikation und Invention) werden als „äußeres“ oder „assimilatives“ Coping beschrieben, während zwei Strategien (Revision und Akklimatisation) als „inneres“ bzw. „akkomodatives“ Coping beschrieben werden. Die Attribute beziehen sich auf den Wirkort des Copings: der Aktivationsüberschuss kann durch Änderung der äußeren Umwelt abgebaut werden („Assimilation“) oder durch Anpassung der inner-psychischen Gegebenheiten („Akkomodation“).

Die assimilativen Copingstrategien im Detail:

  • Aggression: Die Aggression hat als äußere Copingstrategie das Ziel, die Barriere, die der Erfüllung des Motivs im Weg steht, mit Gewalt zu beseitigen. Die damit verbundene Emotion ist der Ärger.
  • Supplikation: Sie bezeichnet eine Familie von Verhaltensweisen, die anderen Artgenossen signalisiert, dass man macht- und hilflos ist und auf deren Unterstützung und Wohlwollen angewiesen ist. Prototypisch für die Supplikation ist die phylogenetisch alte Erbkoordination des Weinens (Bischof, 1993, S. 16). Im Bild der Barriere würde Supplikation bedeuten, andere um Hilfe zu bitten, die Barriere zu beseitigen.
  • Invention: Sie hat das Ziel, durch Exploration einen Umweg um die Barriere zu finden. Die Invention lässt sich gut durch das Sprichwort „Not macht erfinderisch!“ beschreiben. Gerade beim Menschen ist die Invention (im Gegensatz zu den basaleren Strategien der Aggression und Supplikation) stark mit Intelligenz und kognitivem Problemlösen verknüpft.

Prinzipiell kann jede dieser Copingstrategien auf einen Aktivationsüberschuss aus jedem der drei Motivsysteme angewendet werden. Dabei sind auch ungewöhnliche Kombinationen möglich, wie am Beispiel der Aggression als Copingmechanismus gezeigt werden soll (vgl. S. 444-447):

  • Aggression aus Furcht (Überschuss an Erregungsaversion): diese Form des Copings lässt sich zum Beispiel bei Tieren auf der Flucht beobachten. Wird das Opfer in die Enge gedrängt, so dass die spezifische Reaktion „Flucht“ nicht mehr funktioniert, so wagt es als letzten (Coping-)Ausweg einen Verzweiflungsangriff.
  • Aggression aus Neugier (Überschuss an Erregungsappetenz): Dieses Coping lässt sich bei Schimpansen aber auch bei Kindern beobachten, die sich langweilen. Bietet ein Spielzeug kein ausreichendes Reizangebot mehr, so kann es zumindest noch ein gewisses Maß an „Neuartigkeit“ bieten, indem es zerstört wird.
  • Aggression aus Bindung (Überschuss an Bindungsmotivation): Diese scheinbar unsinnige Kombination wird verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass das Coping nur dann in Aktion tritt, wenn die normale (spezifische) Reaktion verhindert ist. Bischof beschreibt diese Reaktion als „Liebe, die in Haß umschlägt, weil sich ihr das Objekt entzieht“ (S. 446). Dieses Phänomen „wurde seit Shakespeare von den Dichtern so variantenreich abgehandelt“ (ebd.), dass weitere Erklärungen nicht notwendig seien.

Das Zürcher Modell macht keine präzisen Annahmen über die Wahl der Copingstrategien. Lediglich zwei Kombinationen, die aus einem Aktivationsüberschuss des Autonomiesystems kommen, sind laut Bischof unwahrscheinlich: die Supplikation aus Autonomieappetenz und die Aggression aus Autonomieaversion. Ersteres würde bedeuten, dass man seinen Gegner anfleht, er möge sich doch in der Hierarchie unter einem selbst einordnen. Zweiteres wäre der Fall, wenn der Rangniedrigere den Ranghöheren angreift, um ihm seine Unterwürfigkeit zu demonstrieren.
Allerdings kann sich Bischof im konkreten Fall durchaus auch paradoxe Kombinationen vorstellen, wie z.B. den „tyrannischen Kranken“ (S. 458), der einen Fall der aggressiven Submission darstellen würde.

Im folgenden werden die akkomodativen Copingstrategien beschrieben:

  • Revision: Die Reizverarbeitung in den Detektoren wird einer Revision unterworfen. Dadurch ändert sich zwar nicht die faktische Realität, aber die Wahrnehmung derselben (man „gewinnt der Situation eine neue Seite ab“). Insofern passt sich der Ist-Wert dem Soll-Wert an.
  • Akklimatisation: Der Soll-Wert passt sich dem Ist-Wert an. Ist die Regelabweichung zwischen dem Wunsch (dem Soll-Wert) und der Realität (dem Ist-Wert) so groß, dass beide nicht in Übereinstimmung gebracht werden können, so bleibt als Lösung dieser motivationalen Spannungssituation oft nur der Ausweg, den Wunsch den realen Möglichkeiten anzupassen (vgl. S. 460).

Beide akkomodativen Strategien führen dazu, dass die Aktivation, die ja aufgrund einer Ist-Soll-Differenz entstanden ist, auf Null gebracht wird.

Statische versus dynamische Betrachtungsweise

In der systemtheoretischen Betrachtungsweise lassen sich drei Arten der Analyse unterscheiden (Bischof, 1993, S. 10):
1. Strukturelle Systemanalyse : ausgehend von einfachen Wenn-Dann-Aussagen lassen sich Nachbarschaftsbeziehungen von verschiedenen Elementen darstellen. Weisen mehrere dieser Kausalketten gemeinsame Elemente auf, so lassen sich diese miteinander verknüpfen. Als Ergebnis erhält man ein topologisches Wirkungsgefüge, das die kausalen Verknüpfungen der interessierenden Variablen darstellt. Ergebnis einer solchen strukturellen Systemanalyse ist zum Beispiel das oben dargestellte Wirkungsgefüge des Zürcher Modells.
2. Stationäre Systemanalyse: in dieser Phase der Analyse interpretiert man die Elemente des topologischen Wirkungsgefüges metrisch, d.h. man weist den Variablen konkrete Werte zu, um das Verhalten des Systems simulieren zu können. Dabei wird das System im „Ruhezustand“ betrachtet, d.h. man untersucht, in welchen Gleichgewichtszustand sich das System bei konstanten Umweltparametern „einschwingt“.
3. Dynamische Systemanalyse: in diesem Schritt kommt die Zeitdimension ins Spiel. In dieser Analyse – die sicherlich die anspruchsvollste ist – kommen die Vorteile der systemtheoretischen Betrachtung voll zur Geltung, da hier Prozesse in einer Echtzeitsimulation dargestellt werden können. Bei dieser Betrachtungsweise müssen einige zusätzliche Systemeigenschaften spezifiziert werden, z.B. das Systemverhalten bei Motivkonflikten: was passiert, wenn zwei Motivationen aktuell etwa gleichstark ausgeprägt sind und somit beide um die Dominanz in der Verhaltenskontrolle konkurrieren?

Der Motivfragebogen MPZM (Motivprofil nach dem Zürcher Modell) bewegt sich nun im Anfangsbereich der stationären Systemanalyse. Die (allgemeinpsychologischen) strukturellen Annahmen des Zürcher Modells werden als gegeben vorausgesetzt; Ziel des Fragebogens ist es, die (differentiellen) Systemkennwerte eines Individuums zu erheben. Dabei sollen nicht alle möglichen Systemparameter bestimmt werden, sondern nur die Sollwerte der Motivsysteme. Es soll keine vollständige Metrisierung des Modells vorgenommen werden – dazu wären noch weitergehende Messungen bzw. Annahmen bezüglich der Detektoren und Kennlinien der Systemkomponenten notwendig (vgl. Bischof, 1993).

Das Zürcher Modell im Überblick

Der „Clou“ des Zürcher Modells ist nun nicht das Postulat der einzelnen Regelkreise, sondern die Verschaltung dieser drei Motivsysteme. Die daraus entstehende Dynamik hat eine hohe theoretische Erklärungskraft und stellt nach Krause (1988, S. 44) den „einzig ernstzunehmenden Versuch [dar], dieses Problem anzugehen“.
Im Kern dieser Systemdynamik steht das „zentrale Postulat“ des Zürcher Modells (Bischof, 2001, S. 460). Es besagt, dass der Sollwert des Autonomiesystems (AUTAN) die beiden anderen Sollwerte (ABH und UNT) kontrolliert. Der Zusammenhang ist bei beiden Systemen genau entgegengesetzt: eine Erhöhung der Autonomie geht mit einer Erhöhung der Unternehmungslust einher, aber mit einer Senkung der Abhängigkeit.

Abbildung 5: Das Zürcher Modell sozialer Motivation (vereinfachte Version, nach Bischof, 2001)

Die Einbettung des Zürcher Modells in die Motivationspsychologie

Die Rezeption des Zürcher Modells geht in der „Mainstream-Motivationspsychologie“ gegen Null. Es gehört bei Büchern zur Motivationspsychologie schon zu einer Ausnahme, wenn sie das Modell kurz erwähnen. Entsprechend mager ist auch der Austausch zwischen beiden „Theorie-Welten“ und manche Kommunikation scheint schon an den unterschiedlichen Begriffen zu scheitern. Daher soll in diesem Kapitel das Zürcher Modell in die momentane „Mainstream-Motivationspsychologie“ eingebettet werden und Parallelen, aber auch Unterschiede hervorgehoben werden (vgl. dazu auch Kapitel 2, „Motivationspsychologie“).

Soll-Werte als Motivdispositionen

Die Sollwerte des Zürcher Modells kann man ohne weiteres als Motivdispositionen werten. Sie geben vor, wie stark ein Motiv bei einem Individuum ausgeprägt ist und welche Anreize gegeben sein müssen, damit das Motiv befriedigt wird. 
Die postulierten Motivsysteme bieten aber auch eine Antwort auf das „Klassifikationsproblem der Motivationspsychologie“. Durch die evolutionspsychologische Verankerung des Zürcher Modells (siehe auch Kapitel 4) ist jedem Motivsystem ein klares adaptives Problem (bzw. ein bestimmter Funktionskreis) zugeordnet. Natürlich kann man nach wie vor über das Abstraktionsniveau der gewählten Klassifikation streiten, da es jedoch im Bereich der Evolutionspsychologie eine relativ begrenzte und klar umrissene Anzahl von adaptiven Problemen gibt (Buss, 2004), bietet das eine gute Untermauerung für Bischofs Auswahl.
Motivanregung
In der traditionellen Motivationspsychologie spricht man von „Anreizen“, die notwendig sind um ein Motiv zu aktivieren. Die Anreize sind bei Bischof über das Konzept der Detektoren formalisiert. Diese melden fortlaufend die aktuelle (Umwelt-)Situation und informieren darüber, welches motivationale Problem im Moment ansteht.
Bei Bischof gibt es jedoch noch eine zweite Möglichkeit, wie Motive angeregt werden können. Befindet sich ein Regelkreis im Gleichgewicht, so gibt es zwei Möglichkeiten, wie er aus seinem homöostatischen Zustand gebracht werden kann: entweder ändert sich der Ist-Zustand – oder aber es ändert sich der Soll-Zustand. Die Änderung des Ist-Zustandes (also der Umwelt) entspricht den klassischen Anreizen „von außen“. Am Beispiel der Aggression beschreibt Bischof (2001) jedoch, wie auch eine Veränderung des inneren Milieus ein Motivsystem aktivieren kann, ohne dass ein erkennbarer Anreiz von außen vorhanden wäre. Die klassische Aggressions-Frustrations-Hypothese setzt einen äußeren Anreiz (nämlich das Nicht-Erreichen eines Zieles) voraus, damit Aggression entsteht – sie ist somit reaktiv. Am Beispiel eines Pubertierenden macht Bischof jedoch klar, dass auch eine endogene, z.B. reifungsbedingte Änderung der Sollwerte dazu führen kann, dass eine spontane Aggressivität entsteht, ohne dass eine Änderung der äußeren Bedingungen stattgefunden hätte. Dank der kybernetischen Modellierung durch einen Regelkreis lassen sich beide Formen der Motivanregung in ein Modell bringen.

Implizite vs. explizite Motive

Die drei ursprünglichen Motive des Zürcher Modells (Bindung, Unternehmungslust und Macht) sind in ihrer Konzeption ganz klar zu den impliziten Motiven zu zählen: sie sind phylogenetisch alt, schon bei Tieren vorhanden, emotional vermittelt und zum Teil vorsprachlich repräsentiert. Zudem gibt es für alle drei gute Hinweise, dass sie eine hormonelle Grundlage haben (vgl. auch Kapitel 2.2).
Das selbe lässt sich über das Geltungs- und das Leistungsmotiv nicht so klar sagen. Zum einen sind dafür nach Bischof (2001) höhere kognitive Leistungen notwendig, die erst auf dem Entwicklungsstand des Menschen vorhanden sind. Zum anderen konnten bisher keine hormonellen oder zentralnervösen Grundlagen für diese Motive gefunden werden. Dieser Unterschied in der Qualität der fünf Motivsysteme zeigt sich aber auch im Aufbau des Zürcher Modells: im ursprünglichen Modell sind lediglich die drei Kernvariablen aufgeführt und alle systemischen Zusammenhänge und Argumentationen beziehen sich auf diese Motivsysteme. Leistung und Geltung werden lediglich am Rande als neuere phylogenetische Entwicklungen erwähnt und insgesamt doch eher „stiefmütterlich“ behandelt.

Appetenz und Aversion – ein oder zwei Motivsysteme?

Vergleicht man das Zürcher Modell mit anderne Motivkonzeptionen, so fällt auf, dass Bischof jeweils zwei motivationale Tendenzen (Appetenz und Aversion) in einem Motivsystem zusammengefasst hat, während dieselben Tendenzen in anderen Systemen als getrennte Motivationen aufgeführt werden.
Tabelle 1 stellt Bischofs Appetenzen und Aversionen den Bedürfnissen von Murray (1938) gegenüber:

MotivsystemAppetenz und Aversionentsprechende Bedürfnisse von Murray
SicherheitssystemBindung
Überdruß
nSuccorance (Hilfesuchen)
nRejection (Zurückweisung)
ErregungssystemNeugier
Furcht
nPlay (Spiel)
nDefence (Schutz)
nHarmavoidance (Leidvermeidung)
AutonomiesystemAssertion
Submission
nAggression (Aggression)
nAutonomy (Unabhängigkeit)
nDominance (Machtausübung)
nAbasement (Erniedrigung)

Tabelle 1: Vergleich von Appetenz/Aversion beim Zürcher Modell und Murrays (1938) Bedürfnissen

Der Vorteil von Bischofs Darstellung liegt auf der Hand: anstatt ausufernde Listen mit Motiven aufzustellen, werden die verschiedenen motivationalen Tendenzen in einen funktionalen Zusammenhang gestellt. Dadurch wird nicht nur Ordnung geschaffen, sondern auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Motiven werden näher spezifiziert. So ist aus der Regelkreiskonzeption des Sicherheitssystems sehr einfach ersichtlich, dass man (unter normalen Umständen) nicht gleichzeitig das Objekt zurückweist, von dem man Hilfe erwartet. Genauso wird nDominance (Machtausübung) im Normalfall nie gleichzeitig mit nAbasement (Erniedrigung) auftreten.